Welchen Sinn hat die gesetzliche Verpflichtung, im Wohnungseigentum eine sogenannte Rücklage zu bilden, also anzusparen? Können hier auch individuelle Vereinbarungen getroffen werden?
Antwort: „Streng genommen handelt es sich bei der Rücklagenbildung im Wohnungseigentum um ein Zwangsansparsystem für künftig anfallende Instandsetzungs- und Verbesserungsarbeiten an den Allgemeinflächen eines im Wohnungseigentum stehenden Mehrparteienwohnhauses“, sagt die Grazer Rechtsanwältin Heidi Lallitsch von der Kanzlei SCWP Schindhelm. Das Innere einer Wohnung ist dabei aber von jedem Wohnungseigentümer selbst zu erhalten. Die gesetzlichen Regeln zur Rücklagenbildung gelten für jeden Wohnungseigentümer gleichermaßen. „Auf persönliche Bedürfnisse Einzelner ist dabei keine Rücksicht zu nehmen.“
Schreibt das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) auch eine Mindestrücklage vor?
Antwort: Bis zur WEG-Novelle 2022 wurde der Eigentümergemeinschaft vorgeschrieben, eine „angemessene“ Rücklage zu bilden. „In der Realität sah das oft anders aus, weil man die monatlichen Kosten für die Wohnungseigentümer niedrig halten wollte. Bei anstehenden größeren Sanierungen fehlte daher in der Vergangenheit oft das nötige Geld“, sagt Lallitsch. Seit der WEG-Novelle, die seit 1. Juli 2022 gilt, darf bei der Rücklagenbildung ein Minimum von 90 Cent pro Quadratmeter Nutzfläche (wertgesichert) nicht mehr unterschritten werden.
Gibt es Ausnahmen?
Antwort: „Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Auch wenn verbrauchsabhängige Energiekosten wie für Strom und Heizung das Wohnen beinah unleistbar machen, kann deshalb kein Eigentümer eine Herabsetzung und/oder Nichteinhebung der Mindestrücklage verlangen“, erklärt Lallitsch. Ein Unterschreiten der Mindestdotierung der Rücklage ist nur in gesetzlichen Ausnahmefällen möglich, die klar definiert sind: „Zum Beispiel bei Neuerrichtungen oder bei vorgenommenen durchgreifenden Sanierungen, da bei diesen in absehbarer Zeit nicht mit nötigen Instandsetzungen zu rechnen ist – oder wenn bereits eine ausreichende Rücklage gebildet und vorhanden ist.“
Braucht die Hausverwaltung für die Rücklagenbildung einen vorangehenden Beschluss der Eigentümergemeinschaft?
Antwort: Nein. Die Rücklagenbildung ist nämlich, wie Lallitsch erklärt, grundsätzlich eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung. Zum Aufteilungsschlüssel, nach dem die Wohnungseigentümer auf das Rücklagenkonto einzuzahlen haben, sagt sie: „Im Regelfall geht es nach Nutzwerten, also nach grundbücherlichen Miteigentumsanteilen.“
Hat man beim Wohnungsverkauf Anspruch auf aliquote Auszahlung der Rücklagen?
Antwort: Nein. „Die Rücklage geht anteilig – bezogen auf die grundbücherlichen Anteile eines Eigentümers, sofern es keine andere Aufteilung gibt – auf den Käufer über.“
Steigert eine hohe Rücklage den Wert der Wohnung?
Antwort: Mit einer regelmäßigen Rücklagenbildung ist für die Finanzierung von künftig notwendigen (größeren) Sanierungen vorgesorgt. Käufer und Käuferinnen müssen dafür später nicht extra Geld in die Hand nehmen. Eine hohe Rücklage sollte, so Lalltisch, bei der Kaufpreisbildung im Vorfeld also auf jeden Fall berücksichtigt werden. „Das kann wertsteigernd wirken“. Außerdem wichtig: Wird im Kaufvertrag die anteilige Rücklage gemäß WEG gesondert ausgewiesen, fällt sie aus der Bemessungsgrundlage für die Erhebung und Berechnung der Immobilienertragsteuer heraus. „Das zahlt sich bei Vorliegen von hohen Ansparungen aus“, erklärt die Juristin. Im Umkehrschluss wirken sich geringe oder nicht eingehobene Rücklagenbeträge bei einem Wohnungsverkauf nachteilig und eventuell preismindernd aus. „Wenn bei zukünftigen Sanierungen die nötige Liquiditätsreserve fehlt, kann das im Nachhinein den Ankauf einer Eigentumswohnung erheblich verteuern.“ Unterbleibt die Einhebung einer Rücklage ganz, kann ein Wohnungskäufer aber dennoch keinen Schadenersatzanspruch gegen die Eigentümergemeinschaft geltend machen, weil, so die Juristin, der Wohnungseigentümer hier nicht zu einem unmittelbar Geschädigten wird.
Sind Rücklagenbeträge ein Bestandteil der Betriebskosten?
Antwort: Nein. Sie sind deshalb in der monatlichen Vorschreibung auch gesondert auszuweisen. „Die Bezahlung von Rücklagenbeträgen kann bei einer Vermietung im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes deshalb auch nicht wirksam auf Mieter überwälzt werden“, erklärt Lallitsch. Im MRG ist nämlich ein Betriebskostenkatalog angeführt.
Quelle: Kleine Zeitung